Donnerstag, 12. April 1945
Donnerstag, 12. April 1945
Die deutschen Truppen werden vom Donaukanal
zurückgedrängt und halten abends am rechten Donauufer nur mehr den Bereich
zwischen Friedrich-Engels-Platz und Nordwestbahnhof. Die Sprengung der
Reichsbrücke wird befohlen. Als Folge dieses Befehls kommt es um die Brücke zu
nicht mehr völlig rekonstruierbaren Geschehnissen. Offenbar wurden die
vorbereiteten Sprengladungen von Widerstandskämpfern beseitigt. Als daraufhin
neuerlich Sprengladungen angebracht wurden, sind auch diese im Schutze der
Dunkelheit unschädlich gemacht worden. In der Nacht zum 13. April wurde von
Booten der sowjetischen Donauflotte aus die Brücke besetzt. So blieb die
Reichsbrücke als einzige Donaubrücke zwischen Linz und Budapest erhalten. Sie
war für die Versorgung Wiens und den Beginn des Wiederaufbaus von gar nicht zu
überschätzender Bedeutung. - Von Floridsdorf aus beschoss deutsche Artillerie
die Bezirke zwischen Donaukanal und Gürtel. Dabei wurde auch der Stephansdom
mehrmals getroffen, um etwa 10 Uhr kommt es dadurch zum Großbrand. Binnen kurzer
Zeit steht der mächtige Dachstuhl in Flammen. Am Nachmittag beginnt der
Glockenstuhl des Hauptturms zu brennen, in der Gluthitze zerspringt die
Pummerin. -Überall in Wien geschieht etwas, was Renner später als "historisches
Phänomen" bezeichnet hat: Obwohl es keine Verbindungen gibt, kein Telephon,
keine Post, keinen Verkehr, kommen in den Bezirken und in Bezirksteilen Menschen
zusammen und beginnen mit dem Aufbau demokratischer Strukturen. Was sich überall
im örtlichen Rahmen abspielt, geschieht auch zentral: Führende Vertreter der
einstigen politischen Parteien kommen zusammen. Für die Sozialdemokrten und
deren illegale Nachfolgeorganisation, die Revolutionären Sozialisten, ist es
selbstverständlich, ins Rathaus zu kommen. Die ehemaligen Christlichsozialen
finden nach einigem Suchen im Schottenstift auf der Freyung einen zentralen
Treffpunkt. Sie haben sich schon bei privaten Gesprächen während des Krieges
darauf geeinigt, nicht den alten Parteinamen wieder aufleben zu lassen, sondern
durch den neuen Namen "Österreichische Volkspartei" das Zeichen eines Neubeginns
zu setzen. - In den USA stirbt überraschend Präsident Franklin
Delano Roosevelt. Roosevelt gilt als Schöpfer des engen Bündnisses der
Alliierten im Kampf gegen die faschistischen Mächte Deutschland, Italien und
Japan. Vizepräsident Harry S. Truman wird als sein
Nachfolger angelobt.
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